Mac Steinmeier springt seit 35 Jahren von Dächern, fährt Autos zu Schrott und lässt sich anzünden. Ein Gespräch mit einem Stuntman, der gelernt hat, mit der Angst umzugehen.

Mac Steinmeier entschuldigt sich. Es gibt keinen Tee, keinen Kaffee in der Lagerhalle auf dem Gelände der Bavaria Filmstudios. Bald will er umziehen, seine Firma Stuntmac ins Haus gegenüber verlegen, in ein richtiges Büro mit Teeküche. Im Moment gibt es nur ein paar Stühle. Draußen regnet es. Drinnen ist es kalt, immerhin bleiben die Requisiten trocken. Steinmeier setzt sich.

An der Wand hinter ihm hängt der Tod. Es ist der Tod aus dem Film Krabat, eine alte Gestalt in Robe, ein zerfurchtes Monstergesicht unter schwarzer Kapuze. Den hat Steinmeier gespielt. Er ist Stuntman. Ein Mann mit festem Händedruck, der viel lacht, der Bayerisch spricht, dessen Autokennzeichen M-AC ist. Dafür hat er extra bezahlt. Vor allem aber ist er jemand, der beruflich von Dächern springt, sich anzündet und Autos zu Schrott fährt. Kann so jemand Angst haben? Wir haben ihn gefragt.

Welche Rolle spielt Angst für Sie in Ihrem Beruf als Stuntman?

Angst spielt eine große Rolle. „Stunt“ heißt ja übersetzt Kunststück. Das setzt voraus, dass ich weiß, was ich tue, dass ich es beherrsche und adäquat einsetze. Insofern bezeichne ich meine Angst lieber als eine Art Lampenfieber. Das habe ich, wie die allermeisten Künstler, ob Schauspieler oder Sänger. Natürlich auch weil man weiß, was dahinter steckt und was es bedeuten würde, wenn es nicht gut geht. Das lässt einen „ängstlich“ sein. Aber durch die Vorbereitungen, die wir treffen, durch Perfektionismus und das nötige Selbstvertrauen wissen wir, wie wir planmäßig unser Kunststück auszuführen haben. Wenn ich oder einer meiner Mitarbeiter ängstlich und schlotternd auf dem Dach stehen würden, bevor wir springen, dann könnten wir den Einsatz nicht machen.

Das heißt, Angst vor Verletzungen kann man sich gar nicht leisten in diesem Job?

Normalerweise gehe nicht davon aus, dass ich das Luftkissen verfehle, wenn ich vom Dach springe. Denn dann wäre ich tot. Man fragt sich in solchen Situationen viel eher: Funktioniert der Stunt wirklich beim ersten Mal? Wenn nicht, wären drei Autos kaputt, und der Dreh müsste wiederholt werden. Das würde dann 150.000 Euro kosten. Das sind die eigentlichen Ängste im Hintergrund, nicht, dass man sich verletzen könnte.

Wie oft haben Sie sich denn verletzt?

Ich habe mich zweimal ernsthaft verletzt, was meiner Meinung nach in 35 Jahren eine gute Bilanz ist. Wir haben ja zwanzig Jahre lang auch Stunt-Shows gezeigt, über 10.000 Live-Shows, neun Monate im Jahr, sieben Tage die Woche. Die Verletzungen sind während der Show passiert. Am Ende sind Leichtsinn und Routine unsere größten Feinde, nicht Angst. Beim dreitausendsten Sprung vom Turm bin ich falsch auf dem Luftkissen aufgekommen und habe mir die Schulter ausgekugelt, die Schulterpfanne war vier mal gebrochen. Das merke ich heute noch. Aber in unserem Beruf muss man mit Blessuren rechnen. Wir werden für blaue Flecken und Verbrennungen bezahlt.

Haben Sie einmal einen Stunt abgebrochen?

Ich sag mal so: Man muss die nötigen Eier in der Hose haben. Sicher denkt man manchmal: Eigentlich dürfte ich das jetzt nicht mehr tun. Nach diesem 20-Stunden-Tag bin ich nicht mehr konzentriert genug. Aber da steht ein Team von 50 oder 100 Leuten am Drehort, die auch lange geschuftet haben. Da willst du selber nicht sagen, es geht nicht. Man muss auch Unvorhergesehenes einkalkulieren. Manchmal gibt es Nachtdrehs, bei dem der Stunt für 22 Uhr angesetzt ist. In Wirklichkeit aber kommt man erst morgens um vier dran. Und kurz bevor es hell wird, soll man dann noch einmal schnell einen Überschlag machen. Wer da anfängt, richtig Angst zu haben, hat den falschen Beruf gewählt.

Sie sind immer so abgeklärt?

Nein, nicht wirklich. Auch Stuntman haben Angst vor den Kunststücken, aber eben nur, wenn der Stunt noch nicht sitzt. Die Angst des Stuntman erlebt man bei den Proben. Das ist auch in Ordnung. Angst und Lampenfieber schützen uns davor, nicht zu unbedacht zu sein und einfach drauf los zu springen. In dieser Hinsicht ist Angst gerade in unserem Beruf wichtig: Um noch einmal nachzudenken, noch einmal in sich zu gehen, sich zu konzentrieren und ausreichend zu üben.

Waren Sie schon immer jemand, der wenig Angst hatte?

Ehrlich gesagt: überhaupt nicht. Eher im Gegenteil. Ich war immer ein bisschen ängstlicher und vorsichtiger als andere. Und das bin ich auch heute noch.

Haben andere Menschen Angst um Sie?

Ja, gerade Familie und Freunde waren früher schon eher ängstlich. „Um Gottes Willen! Was da passieren kann!“ Aber nach so langer Zeit – das sind jetzt Jahrzehnte – wissen alle, dass wir so kalkulieren, dass im Regelfall nichts passiert.

Gibt es irgendetwas, wovor Sie wirklich Angst haben?

Ich habe Angst vor Krankheit. Letzte Woche starb ein Kollege an Krebs. Und inzwischen kenne ich auch eine andere Art von Angst im Job: Wenn ich als Stunt-Koordinator arbeite und für 15 Stuntmen verantwortlich bin. Da schwitzt man schon mal in der Nacht vorher und fragt sich, ob man wirklich an alles gedacht hat, damit es reibungslos über die Bühne geht. Also ja: In gewisser Weise hört die Angst nie auf.

Bilder: privat