Eigentlich laufe ich nie durch dunkle Parks. Doch irgendwie wollte ich an diesem Tag das letzte Stück meines Heimwegs zu Fuß laufen. Es war St. Patricks Day, der 17. März 2011. Ich studierte seit einem Jahr in London. Es begann gerade zu dämmern. Dutzende Menschen standen vor dem Pub neben dem Parkeingang nahe der U-Bahn Station Finsbury Park.
Erst dachte ich: Vielleicht sollte ich lieber nicht durch den Park laufen. Aber es wirkte so, als wäre überall recht viel Trubel. Also ging ich rein, obwohl ich ein mulmiges Gefühl hatte. Irgendwo auf der Hälfte des Weges stellte ich fest, dass niemand da war.
Auf einmal sah ich aus dem Augenwinkel, dass von beiden Seiten Menschen aus dem Dickicht kamen. Sechs, sieben oder acht Männer. Ich weiß es nicht mehr genau. Sie waren groß, muskulös, Mitte oder Ende zwanzig, manche vielleicht auch jünger. Ich dachte mir nichts dabei. Doch dann merkte ich, wie sie auf mich zuliefen, sie schneller wurden. Ich rannte, so schnell ich konnte. Ich dachte nur: Was wollen die von mir?
Plötzlich spürte ich einen Stoß, jemand packte mich am Rucksack. Ich ließ ihn fallen, sprintete ohne ihn weiter. Dann griffen sie nach meiner Jacke. Ich schaffte es, mich herauszuwinden.
Irgendwann hatten sie mich, drückten mich auf den Asphalt. Einer der Männer kniete sich auf meinen Rücken, presste mich mit einer Hand auf den Boden. In dem Moment bekam ich wahnsinnige Angst. Mein Puls schlug wie wild. Was, wenn sie mich vergewaltigen wollten? Ich wusste, ich bin an einem Punkt im Park, wo mich niemand hört. Niemand wohnt, niemand ist.
Ich hörte, wie sie meine Sachen durchwühlten. Langsam realisierte ich, dass sie mir nicht körperlich wehtun wollen. Der Mann ließ von mir. Ich richtete mich auf und sah wie sie den Inhalt meines Rucksacks auf dem Boden verteilten. Kurz überlegte ich, wegzurennen. Aber ich brauchte meine Uninotizen für anstehende Prüfungen.
Als ich sie so mit meinen Sachen sah, wurde ich wütend. Ich wusste, dass sie für sie wertlos waren. Selbst in meinem Geldbeutel waren nur ein paar Pfund. Ich überlegte nicht und schrie sie an: „Wie könnt ihr Mädchen im Park auflauern und denen so krass Angst machen.“ Niemand reagierte. Dann schrie ich noch mal: „Ich könnte eure Schwester sein. Ich könnte eure Freundin sein. Ich habe selber kein Geld.“ Nach einigen Minuten erwiderte einer von ihnen: „Vielleicht hat sie recht und wir sollten keine armen Leute angreifen.“ Er reichte mir seine Hand und half mir hoch. Das gab mir etwas Mut zurück. Sie ließen mir meinen Rucksack und meine Jacke. Den Geldbeutel nahmen sie mit.
Mittlerweile war es dunkel. Irgendwie musste ich da raus. Zurück zum Eingang hätte es länger gedauert als zum Ausgang. Doch zum Ausgang liefen auch die Männer. Langsam ging ich ihnen hinterher. Zwischen uns lagen ungefähr 30 Meter. Als ich sah, wie sie stehen blieben und sich um meinen Geldbeutel versammelten, wurde ich wieder wütend. Jetzt bloß nichts falsch machen, dachte ich. Ich kannte sie ja nicht. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass sie sehr menschlich waren, so wie sie mit mir gesprochen hatten.
Ich ging zu ihnen und forderte meinen Geldbeutel zurück. Sie gaben ihn mir und nahmen all das Bargeld, das drin war – zehn Pfund. Dann erklärten sie mir, dass dies kein sicherer Park für eine Frau sei und begleiteten mich zum Ausgang. Zehn Minuten lang liefen sie neben und hinter mir. Ich versuchte, alle im Blick zu behalten. Während wir dort so liefen, erzählten sie mir, wie schwer es für sie als Kind einer armen Arbeiterfamilie sei. Es war ein respektsvolles Gespräch. Die Situation schien auch für sie etwas Überraschendes zu haben. Langsam wich meine Angst. Als wir am Ausgang waren, wünschten sie mir einen schönen Abend und stiegen in den Bus. Erst als sie weg waren, merkte ich, dass mein ganzer Körper zitterte.
*Name geändert
Maria Forstner, 27, studierte von 2010 bis 2013 Geografie und Wirtschaftswissenschaften an der School of Oriental and African Studies. Sie ist froh, dass das Erlebnis ihr nicht das Selbstvertrauen genommen, sondern gestärkt hat. Derzeit lebt sie in Berlin.
Bilder: Carolin Katschak