Als mein Herz aufhörte zu schlagen, bekam ich Panik. Nicht einfach Angst oder Furcht, sondern eine existenzielle, alles überwältigende Urpanik. Ich spürte zunächst, wie ich von außen nach innen kalt wurde, erst Hände und Füße, dann Beine und Arme. Ich konnte fühlen, wie sich das Leben aus meinem Körper zurückzog.

Ich war dreißig Jahre alt, als ich an einer schweren Virusinfektion erkrankte. Sie verlief so dramatisch, dass ich schließlich einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitt und eine Nahtoderfahrung hatte.

Es begann im Krankenwagen: Mich umgab eine so umfassende Ruhe, wie ich sie sonst im Alltag niemals erfahren hatte. Da war nichts, keine Gefühle, keine Gedanken, keine Regungen. Als ich wieder Bewegung in mir fühlte, raste ich auf eine Lichtquelle zu. Mich überkam ein Gefühl der Liebe, der absoluten Geborgenheit, des Angenommenseins. Es war Liebe, wie ich sie im Alltag niemals zuvor erlebt hatte.

Schließlich kam der für mich eindringlichste Moment: Ich durchlief mein ganzes Leben noch einmal. Das fühlte sich an, als stünde ich auf einem hohen Berg und könnte alles von Anfang bis Ende überblicken. Wen hatte ich geliebt, wen hatte ich verletzt? Darum ging es in meinem Rückblick, um die Intensität der Beziehungen – alles andere spielte keine Rolle.

Mir war klar: Was ich da gesehen habe, ist das Zielfoto, bevor ich sterbe. Kein beruflicher Erfolg, kein Geld, kein Ruhm sind von Bedeutung, es geht einzig um die Liebe, die ich gebe und bekomme.

Bevor ich aufwachte, nahm ich noch einmal dieses Licht wahr. Dann kam ich im Schockraum des Krankenhauses wieder zu mir.

Fast fünf Jahre habe ich gebraucht, um wieder in der normalen Welt zu landen. Durch die Erfahrung habe ich die Angst vor dem Tod verloren. Die Angst vor dem Sterben aber habe ich nicht abgelegt. Doch der Gedanke an den Tod lässt mich lächeln, seitdem ich weiß, was auf mich wartet.

In meinem Leben hat sich nach der Nahtoderfahrung vieles geändert. Ich bin beziehungsfähiger geworden und erlebe vieles intensiver. Bereits zuvor hatte ich den Weg in den Jesuitenorden gefunden. Nach meiner Nahtoderfahrung hat sich die Entscheidung für diesen radikalen Lebensstil deutlich gefestigt. Ich ruhe mehr in mir selbst, Zweifel haben weniger Macht über mich.

Godehard Brüntrup ist seit 2004 Professor für Metaphysik und Philosophie an der Hochschule für Philosophie München. Er ist Mitglied der Jesuiten, einem katholischen Männerorden. Nahtoderfahrungen laufen bei vielen Betroffenen nach einem ähnlichen Muster ab. Brüntrup hat sich in seinem Aufsatz „Die Bedeutung des Erlebens des eigenen Sterbens“ wissenschaftlich mit der Erfahrung auseinandergesetzt.

Bilder: Manuel Stark